Wir wollten zum Sonnenstrand. Vera besuchen, Meeresluft schnuppern und uns mit etwas Glück irgendwo mit Corona anstecken. Also los.

Eigentlich wollten wir den letzten Tag in Sofia nutzen und mal hoch in’s Vitosha-Gebirge. Das ist ja wirklich in Spuckweite und durchaus sehenswert. Als ich aufwache, bin ich mir allerdings sehr schnell sicher, dass ich den Plan in die Tonne treten kann. Mir scheint die Nacht nämlich jemand mit Schwung in den Unterbauch gesprungen zu sein. Da Tino hartnäckig seine Unschuld beteuert, muss ich wohl einsehen, dass mein eigener Körper der Übeltäter ist. Also nehme ich es wie eine gestandene Frau: Ich bleibe im Bett liegen und jammere meinem Mann die Ohren voll. Er ist so gut und pumpt mich mit Schmerzmitteln voll. Als es dann endlich einigermaßen geht, erkunden wir noch etwas die Gegend.

In Anbetracht unseres Plans, zum Sonnenstrand zu fahren, schnappe ich mir Tino und schleife ihn zum zentralen Busbahnhof. Am Schalter ziehe ich uns zwei Tickets für den Bus am nächsten Tag um 12 Uhr. Das erscheint uns beiden human. So können wir ausschlafen und sind nach 6 Stunden Fahrt gemütlich zum Abend da. Die Tickets reihen sich preislich beim deutschen Flixbus ein. 28 Leva, also 14 Euro pro Nase für die Tour. Wer auf die Karte Bulgariens schaut, wird schnell sehen, dass es sich dabei auch um eine ziemliche Strecke handelt. Schließlich führt die Route einmal quer durch Bulgarien. Vom Westen bis ganz in den Osten.

Der Rest des Tages vergeht ereignislos. Wir stöbern noch in einem der Einkaufszentren herum, spielen etwas Airhockey in einer Spielhalle und kümmern uns abends um die Vernichtung unserer Biervorräte. Also ich kümmere mich. Tino schlägt das bulgarische Bier irgendwie auf den Magen, weshalb er zu Schnaps wechselt: Rakia. Ein bulgarischer Schnaps aus Trauben. Nicht zu verwechseln mit dem türkischen Raki, der eher Ouzo ist. Bulgarischer Rakija gehört eher in die Kategorie Grappa.

Irgendwann spät abends packt uns dann allerdings nochmal der Hunger. Wir ziehen also los und suchen nach Essbarem. Essen gehen ist uns zu dekadent. Wir haben hier beim Stöbern aber schon Läden entdeckt, wo man gute, bulgarische Hausmannskost auf die Hand bekommt. Da gehen wir hin und gönnen uns: Für mich einen Tarator und Musaka. Tino lässt sich eine große Schüssel Schopska-Salat aufschaufeln und ein Stück panierten Käse auf den Grill hauen. Der Preis ist großartig: 14 Leva. Das entspricht 7 Euro. Für ein Essen zu zweit definitiv super! Wir rollen nach Hause, packen unsere Rucksäcke (diesmal cleverer) und legen uns schlafen.

Am nächsten Morgen schreibt mich Mama an. Wir basteln ja immer noch an der Website und Tino wollte ein paar Änderungen haben. Mama schreibt also, dass wir mal gucken sollen, ob das dann jetzt so passt. Ich gucke und finde gut. Meine Antwort erschreckt sie aber. Sie hat nicht damit gerechnet, dass wir schon wach sind. Ich wiederum wundere mich, warum sie mir um diese Uhrzeit (irgendwas zwischen 8 und 9 Uhr deutscher Zeit) schreibt, weil sie doch eigentlich arbeiten sein müsste. Ich schäme mich immer noch, dass es so an mir vorbeigegangen ist: Es ist Wochenende.

Tino mit RucksackTino und ich schultern unsere Rucksäcke und fahren zum Busbahnhof. Unterwegs holen wir uns noch eine Tagesration Baniza für die Fahrt. Als wir dann endlich im Bus sitzen, macht uns der Fahrer aber sehr schnell einen Strich durch die Rechnung. Er schnauzt noch vor dem Losfahren provisorisch alle Leute im Bus an. Frei Übersetzt: „Dass wir uns verstehen: In diesem Bus sind alle Arten von Lebensmitteln streng verboten! Nächste Pause ist in Stara Zagora, ungefähr 3 Stunden von hier.“

Er dreht sich um und fährt los. Ich für meinen Teil bin noch die nächsten 10 Minuten damit beschäftigt, dumm aus der Wäsche zu gucken. Ich habe nämlich Hunger. Und mich auf die Baniza gefreut. Sogar Ayran haben wir dazu geholt. Und jetzt? Sitze ich hier, darf nix essen, kann mich nicht mit einer Zigarette beschäftigen und soll auch noch Maske tragen. In stillem Protest verzichte ich auf letzteres. Machen die anderen 5 Leute, die mit im Bus sitzen, nämlich auch nicht. Also Maske tragen. Dafür raucht unser Fahrer entspannt während der Fahrt an seinem Fenster. Mir bleibt leider nicht viel anderes übrig, als ihm dafür böse Blicke an den Hinterkopf zu werfen. Juckt ihn nur wenig.

Beim Zwischenstopp dann schaufel ich das Essen in Rekordzeit nur so in mich hinein. Die schnell einsetzende Sättigung lässt mich dann auch prompt noch einen guten Teil der Fahrt verschlafen. Tino guckt derweil abwechselnd auf seinem Handy Filme, aus dem Fenster oder mir beim Schlafen zu.

Je weiter wir fahren, desto ländlicher wird die Gegend. Die Häuser sehen zunehmend nach der Kulisse eines Horrorfilmes aus und die wilden Tiere häufen sich. Zu Hunden und Katzen gesellen sich jetzt auch Pferde. Die sind zwar nicht „wild“ – schließlich gehören sie den Leuten hier. Aber eingezäunt sind sie eben auch nicht. Stattdessen klappern diese mageren Tiere ziellos durch die Landschaft von einem Strauch zum nächsten und knabbern an der Vegetation.

Und viel Spannendes passiert dann auch nicht mehr. Es ist halt eine Busfahrt. Lustig wird es dann erst wieder, als wir endlich in Sonnenstrand ankommen und Vera dabei zugucken dürfen, wie sie anfängt, wie ein Rohrspatz auf unseren Fahrer einzumeckern. Dass es ja nicht sein könne, dass man für die Strecke ab Sofia 7 Stunden braucht. Und wenn sie das gewusst hätte, wäre sie uns gleich mit Auto abholen gekommen. Ich beobachte von der Seite und amüsiere mich königlich.

Just richtet Vera all ihre Aufmerksamkeit auf mich. Wie Maschinengewehrsalven prasseln die Informationen nur so auf mich ein. Wo sie wohnt, wo ihre Tochter wohnt, wo der Laden ist, wie man hier ein Appartement kauft, wo man Essen geht und wo lieber nicht, wie ihre Abendplanung aussieht, wie die Busse früher gefahren sind und wie die Saison war. Tino, der Schlawiner, ist dank heftigster Sprachbarriere fein raus und läuft wie Hans-Guck-In-Die-Luft hinter uns her. Bei Vera angekommen werden wir auch gleich von ihrem Mann begrüßt. Vera hört nicht auf zu reden, beginnt aber, sich nebenher fertig zu machen. Sie wollen heute Abend noch mit ein paar Kollegen den Abschluss der Saison begießen gehen. Wir können so lange ja selber was machen oder einfach zu ihrer Tochter gegenüber gehen. In einem Nebensatz erklärt sie mir noch, dass wir in ihrem Bett schlafen werden und sie sich dann einfach die Couch im Wohnzimmer auszieht. Ich komme leider nicht so schnell dazu, sie zu fragen, ob sie noch alle Nadeln an der Tanne hat. Aber gut, das werde ich schon noch regeln.

Sonnenstrand totNachdem sie weg ist, machen auch Tino und ich uns kurz frisch und gehen die Gegend erkunden. Wo hier die nächste Baniza-Bäckerei ist, haben wir schnell raus. Ich lotse ihn aus meiner Erinnerung heraus in’s touristische Zentrum von Sonnenstrand. Dort angekommen, trifft mich allerdings sehr schnell die Ernüchterung. Hier gibt es praktisch nichts, das wir uns ansehen können. Alles ist zu. Keine Menschenseele ist hier unterwegs. Es ist dunkel. Die vielen, bunten, blinkenden Lichter aus meiner Erinnerung fehlen. Ebenso die singenden und tanzenden Menschen. Stattdessen gucken wir auf heruntergelassene Rollläden, verrammelte Türen und Fenster, leere Auslagen und leergeräumte Geschäfte, die zum Verkauf stehen.

Im Zentrum des Zentrums des Zentrums finden wir dann eine handvoll geöffneter Geschäfte. Vor einer Baranlage spricht uns eine Dame an. Sie scheint die Animateurin zu sein und möchte uns mit den aufgezählten Angeboten locken, uns in die angepriesene Bar zu begeben. Die Angebote klingen gut und wir hätten tatsächlich Lust. Da wir zuerst allerdings etwas zu Essen brauchen, vertrösten wir sie und suchen weiter. Kurz später hat jeder von uns ein Stück Pizza in der Hand. Da es nicht mehr zu sehen gibt, beschließen wir, zu der Bar zurückzukehren. Als die Animateurin uns sieht, freut sie sich sichtlich, dass wir Wort gehalten haben und zurückgekommen sind. Sie stellt sich uns als Theodora vor und verfrachtet uns an einen Tisch, wo ihre Kellnerkollegen gleich übernehmen. Theodora hingegen zieht tanzend wieder ein paar Meter weiter und spricht weiter Leute an.

Sonnenstrand DrinksHier sitzen wir nun also. Tino ordert einen Whiskey-Cola, ich einen Gin-Tonic. Erwähnte ich die guten Angebote? Das schließt „2 für 1“ mit ein. Heiß: Jeder von uns hat gleich zwei der georderten Getränke vor sich auf dem Tisch stehen. Und noch jeweils einen Shot. Kostenpunkt für die 4 Longdrinks und 2 Shots? 14 Leva. 7 popelige Euro. Tino und ich halten eine schnelle telepathische Diskussion ab und beschließen, das hier voll auszukosten. Es ist mal wieder Zeit für ein bisschen Party in unserem Leben. Die Drinks sind lecker, die Musik laut und eingängig und Theodora verbreitet gute Laune. Also machen wir das beste daraus. Kurze Zeit später stehe ich mit Theodora auf der Strandpromenade und wir tanzen wie wild und singen laut mit. Ich animiere Tino dazu, mitzumachen. Theodora überredet derweil ein Pärchen vom Nachbartisch. Und wie wir 5 da auf der Promenade zwischen geschlossenen Geister-Geschäften tanzen und das Leben feiern, fängt es an, wie aus Kübeln zu schütten.

Keiner von uns denkt daran, mit dem Feiern aufzuhören. Stattdessen heißen wir die Abkühlung willkommen und lassen den Regen alles Negative wegwaschen. Als wir bis auf die Knochen durchnässt sind, beschließen wir, heim zu gehen. Es regnet zwar immer noch, aber getrocknet wären wir jetzt eh nicht so schnell. Außerdem haben wir angenehm einen sitzen und sind platt von der Busfahrt. Als ich mich von Theodora verabschieden will, fällt sie mir überschwänglich um den Hals. Sie wollte schon immer mal im Regen tanzen, kam aber noch nie dazu. Und weil sie mir so dankbar ist, möchte sie in Kontakt bleiben. Leider muss ich alte, uncoole Nudel an dieser Stelle gestehen, dass ich kein Instagram habe. Netterweise war in der Liste ihrer Alternativen aber auch Facebook dabei. Ich suche meinen Account heraus und schicke mir von ihrem Handy aus eine Freundschaftsanfrage, dann sind wir weg.

Je näher Tino und ich der Wohnung kommen, desto mehr sind wir uns einig, dass es gut war die Heimreise anzutreten. Es behaupten ja immer alle, Alkohol mache betrunken. Ich habe da aber eine Gegenthese: Es ist der Weg, der betrunken macht!

Als wir bei Vera in die Wohnung kommen, schälen wir uns aus den nassen Klamotten. Vera und ihr Mann sind noch unterwegs, also nutze ich die Gunst der Stunde für meinen genialen Plan, ihr NICHT ihr Ehebett wegzunehmen: Ich schicke ihr eine Sprachnachricht, in der ich ihr erkläre, dass wir da nicht schlafen werden und uns jetzt stattdessen in’s Kinderzimmer legen. Da gibt es ein Einzelbett. Das ist erfahrungsgemäß groß genug für Tino und mich. Beim Schlafen verknoten wir uns immer unentwirrbar ineinander. Irgendwann finden wir bestimmt auch raus, wer damit eigentlich immer anfängt. Ich tippe ja auf Tino, aber er behauptet, ich sei Schuld.

Ich feiere mich noch ziemlich für meinen Masterplan, Vera ihr Bett zu lassen. Auch wenn die Sprachnachricht an sich am Ende beinahe 3 Minuten ging. Betrunken fallen mir die bulgarischen Wörter noch weniger ein, als nüchtern schon. Ich traue mich nicht, mir die Nachricht nüchtern nochmal anzuhören…

Am nächsten Tag finde ich Vera und ihren Mann schlafend in ihrem eigenen Bett vor und klopfe mir innerlich auf die Schulter. Natürlich nur leise, ich will sie ja nicht wecken.

Als alle wach am Tisch sitzen, beschließen Tino und ich, das mit dem Istanbul-Trip jetzt durchzuziehen. Nach einigem Rumtelefonieren von Vera stellt sich heraus, dass noch heute 14 Uhr ein Bus gehen soll. Den wollen wir gleich nehmen.

An alle, die sich jetzt über die Hektik wundern: Es besteht Grund zur Eile. Seitens der bulgarischen Regierung steht die Überlegung im Raum, ab 1. Oktober eine Quarantäne für Reisende aus der Türkei anzuordnen. Das können wir uns zeitlich mit unseren weiteren Reiseplänen nicht leisten. Deshalb mussten wir schnell entscheiden. Es hieß „Jetzt oder Nie“ und wir haben uns eben dafür entschieden: Ein Kurztrip nach Istanbul. Das deckt für uns sogar mehrere Erste Male ab: Das erste Mal ein Land mit „T“ am Anfang (Ja, wir gucken, dass wir das Alphabet vollkriegen! Übersicht kommt auch irgendwann), das erste Mal den neuen Reisepass in Gebrauch, der erste Stempel im Reisepass, das erste Mal gemeinsam die EU verlassen.

Wir packen also schnell die Mini-Variante unserer großen Backpacker-Rucksäcke: die Turnbeutel. Mehr als ein bisschen Wechselsachen brauchen wir für die zwei Tage nicht. Dann spazieren wir noch mit Vera durch die Gegend. Bei der Gelegenheit kauft sich Tino neue Schuhe und ich mir eine neue Schlubbi-Hose. Dann werden wir von Vera und ihrer Tochter auch schon wie zwei Schulkinder zu unserem Bus gebracht. Der Bus ist deutlich moderner als die alte Schrottmühle, die uns an die Küste gebracht hat. Es gibt sogar kleine Bildschirme in den Rückseiten der Sitze. Allerdings funktionieren die nicht. Dafür funktioniert die Klimaanlage und die Sitze lassen sich verstellen. Das waren dann aber auch schon die Highlights. Wie gesagt: Busfahren. Ist halt spannend…

Aufregend wurde es an der Grenze zur Türkei: Alle raus aus dem Bus, einzeln am Häuschen auf bulgarischer Seite vorbeilaufen und den Pass vorzeigen. Dasselbe Spiel dann nochmal auf türkischer Seite. Da gab es dann endlich den heiß ersehnten Stempel in den Reisepass! Außerdem gab es da „Unterhaltungsprogramm“. Dafür muss ich aber etwas weiter ausholen: Tino und ich zählen die Straßenhunde. Sie kriegen je Land, in dem sie, leben einen Namen und eine fortlaufende Nummer. In Bulgarien haben wir Oleg 1-14 gehabt. Oleg 1 bis Oleg 10 haben wir innerhalb der ersten 48 Stunden allesamt in Sofia gesehen. Dass während der langen Busreise an die Küste nicht mehr Hunde zusammengekommen sind, lag auch nur daran, dass ich die meiste Zeit geschlafen habe und nicht weiterzählen konnte.

Reise nach Istanbul Hasan 1Jedenfalls entdecken wir an der Grenzkontrolle direkt einen weiteren Straßenhund. Und wir beschließen: Das ist Hasan 1! Hasan 1 chillt wie ein guter, fauler Köter mitten auf der Busspur in der Sonne. Das ändert sich, als unser Bus hinter uns angerollt kommt. Hasan 1 springt auf, dackelt beiseite und nimmt hinter dem Bus die Spur wieder für sich ein. Diesmal allerdings mit Nachdruck: Statt sich in die Fahrrillen zu legen, markiert er diesmal lieber gleich den Macker und haut sich in ein Schlagloch mitten auf der Spur.

Nach diesem Abenteuer mussten alle Passagiere ihre Koffer aus dem Laderaum im Bus räumen und von einem Gerät wie am Flughafen durchleuchten lassen. Tino und ich hätten mit unseren popeligen Taschen wahrscheinlich nicht gemusst. Trotzdem haben wir sie aus Anstand aus dem Fahrgastraum geholt und zu ihren großen Kollegen auf’s Band geworfen.

Wir dachten damit eigentlich, dass der Spuk vorbei sei. Tatsächlich stieg aber plötzlich noch mal ein Polizist ein und lief den Gang ab. Witzigerweise sah er mit seiner Nase, den Haaren und der Sonnenbrille extrem aus wie Borat. Reise nach Istanbul Kamera nach obenUm mir das Lachen zu verkneifen, sah ich demonstrativ aus dem Fenster. Und traue meinen Augen kaum: Da liegt eine abgesägte Laterne, an der noch eine Überwachungskamera hängt. Die guckt im liegenden Zustand aber eben nicht mehr in die Gegend, sondern starr nach oben. Tino und ich sind uns daraufhin einig: Die nehmen die Grenzsicherung hier sehr ernst! Es gibt sogar Luftraumüberwachung! xD