Wir haben einen Jojo!

Okay, das mag jetzt etwas merkwürdig klingen, aber das hat tatsächlich eine Bedeutung für uns. Also lasst mich erklären: Die letzten zwei Tage haben Tino und ich faul zuhause rum gelegen und uns gegenseitig wegen unseres Sonnenbrandes die Ohren vollgejammert. Klingt so spannend wie es war: Als würde man Käse beim Schimmeln zugucken.

Nun, sei es drum.

Wir haben uns also krampfhaft beschäftigt. Und alle elektronischen Geräte mussten zu unserer Belustigung herhalten: Handy, Laptop, Switch, Musikbox. Hier wird niemand verschont! Der Fairness halber: Ja, wir hätten unsere Zeit auch lieber mit Matratzensport verbracht. Aber daran war leider so überhaupt nicht zu denken. Also flittert das Pärchen von heute eben beim Netflix-Suchten. Romantik? Können wir!

Leider hilft alles Netflix der Welt null gegen Bewegungsdrang. Auch der Abwasch (2 Teller und eine Tasse) war schneller erledigt, als mir lieb war. Also habe ich mich dennoch todesmutig in die Außenwelt getraut. Ich meine, mehr Sonnenbrand geht ja wohl schlecht…

Passenderweise gab es dafür bei Pokemon ein kleines Event: 3 Stunden lang besondere Viecher. Wenn das mal kein Anreiz ist, weiß ich auch nicht! Tino hat sich so schnell dagegen entschieden, wie ich mich dafür. Also haben wir selbstverständlich einen Kompromiss gefunden: Er bleibt zuhause liegen und ich gehe meiner Pokemon-Sucht frönen. Wir haben schließlich noch mindestens 6 Monate vor uns, die wir aufeinander hocken. Da fallen die 3 Stunden nicht in’s Gewicht. Gesagt, getan! Ich ziehe also los, schleiche wie ein Nachwuchsgangster durch die Schatten der Stadt bis zu einem netten Fleckchen an der Strandpromenade, wo ich alles finde, was mein Herz begehrt: Sitzgelegenheit, Pokestops in der App, eine abgeschiedene Ecke zum Rauchen. Fehlte nur noch ein Späti mit Freibier nebenan. Mein Glück hätte nicht perfekter sein können! Da sitze ich also nun, zocke auf meinem Handy und genieße die Sonne. Nicht. Ich sitze ja im Schatten, ich Fuchs. Mit Kopfhörern, die mich mit allerfeinster Rockmusik beschallen. Solche Kleinigkeiten freuen mich ja immer unheimlich! Meine Rockmusik mag der Tino nicht so. Also muss ich das immer dann hören, wenn Tino nicht dabei ist.

Nach einiger Zeit spricht mich ein älterer Herr Anfang 70 an. Auf Spanisch. Und ich sitze hilflos daneben. Ich nehme den Kopfhörer raus, woraufhin er wohl bemerkt, dass ich ihn nicht gehört haben kann. Also wiederholt er sich. Natürlich wieder auf Spanisch. Ich lächle nett und sage ihm, dass ich kein Spanisch spreche, wohl aber mit Englisch dienen kann. Da das geklärt ist, ist der Kopfhörer schon wieder auf halbem Wege zurück in mein Ohr. Man muss wissen: Die wenigsten Menschen hier sprechen Englisch. Etwas verwirrt stocke ich allerdings, als er mir tatsächlich sein Anliegen spontan in fließendem Englisch vorträgt. Er möchte wissen, ob ich denn unter der Maske atmen kann. Er bekomme darunter keine Luft und findet das auch etwas albern, eine Maske tragen zu müssen. Etwas überrumpelt von der fehlenden Sprachbarriere antworte ich ihm mit fachmännischem Blick auf seine Stoffmaske, dass diese auch sehr dick sei und ich ihm zum Tragen einer OP-Maske raten würde, da diese auch zum längerfristigen Tragen gedacht sind. Und ehe ich es mich versehe, stecken wir beide in einem angeregten Gespräch. Vergessen sind Pokemon und die Rockmusik. Ich sitze hier mit einem spanischen Opi mit Blick auf den Ozean, der mir von seiner Zeit als Pilot erzählt. Dass er häufig Frankfurt angeflogen ist. Dass er Berlin mag und da auch Freunde hat. Dass er seit ca. 3 Wochen geschieden ist. Dass es im Norden der Insel immer etwas bewölkt, aber warm sei. Dass er die pralle Sonne nicht sehr leiden kann. Wie der Wind vom Ozean auf die Insel trifft und sich dann darum teilt, was zu dem berühmten Mikroklima auf Gran Canaria führe. Wir führen ein sehr schönes Gespräch, ehe er sich verabschiedet. Beinahe siedend heiß fällt ihm ein, dass er gar nicht weiß, was er hier soll. Dass er nichts zu tun hat und die Maske anstrengend ist. Also verabschieden wir uns und er zieht von dannen. Das war ein wirklich schönes Erlebnis.

Heute hat Tino und mich dann aber wirklich der Tatendrang gepackt. Wir waren nicht den ganzen Tag unterwegs – Gott bewahre! Aber so ein paar Stunden mussten schon sein. Außerdem waren wir ungewöhnlich beflügelt davon, dass wir uns die letzte Nacht bereits ohne größere Schmerzen umdrehen konnten. Vielleicht haben unsere Körper aufgegeben, uns Schmerzsignale zu senden. Vielleicht ist es besser geworden. Vielleicht sind wir es auch einfach mittlerweile gewohnt. Egal. Hauptsache, ich kann endlich wieder schmerzlos einen BH tragen! Wir sind also – so als ersten Test – einkaufen gegangen. Da das erstaunlich gut funktioniert hat, waren wir ganz euphorisch von diesem Erfolg und wollten eine kleine Tour machen. Hier um die Ecke haben wir eine große Einkaufsstraße. Da wollten wir einen kleinen Abstecher hin machen. Also: Sonnencreme draufgeklatscht, Rucksack geschultert und los!

Erste Anlaufstelle war ein Laden, den wir schon entdeckt, aber immer geschlossen angetroffen haben: Flying Tiger! Die Kette kommt aus Dänemark und wir haben auch in Berlin ein paar Filialen. Und ich LIEBE diesen Laden! So viel zu stöbern! Am Ende verlassen wir den Laden mit einem vergleichsweise kleinen Einkauf. Ich habe mir einen Block mit Point-to-point-Bildern gekauft. Wer es nicht kennt: Als ich ein Kind war, gab es diese Bilder, bei denen man bezifferte Punkte miteinander verbinden musste, damit sich ein Bild ergibt? Genau so was! Tino hat sich einen Ventilator gekauft. Aber nicht irgendeinen! Ich habe selbst schon so einen – damals in Amsterdam erstanden. Er hat jetzt auch einen. Die Dinger sind handbetrieben. Mit einer kleinen Kurbel an der Seite. Ich finde das sehr praktisch, weil man nicht auf Batterien angewiesen ist. Außerdem ist das Design schlicht und leicht. Aus der Kategorie: „Da ist so wenig dran, da kann praktisch nix kaputt gehen.“

Uuuuuund: Wir haben einen Jojo!

Mal fernab von der stupiden Beschäftigungstherapie für hyperaktive Kinder ist so ein Jojo eine prima Sache. Es ist meditativ, simpel, und lustig. Und für uns steht dieser Jojo für den ersten Tag zurück in Freiheit! Sonnenbrand nervt. Aber dass man das Haus dann nicht mehr verlassen kann … Das sind echt die Streusel auf einem dicken Haufen Mist, wenn ich das mal so sagen darf. Draußen wartet Urlaub an jeder Ecke und du hockst wie ein getretener Hund daheim und verfolgst mit Blicken den Schattenwurf an der Wand, als wäre es ein spannendes Match.

Jedenfalls: Der Jojo heißt Hugo. Wir mögen Hugo.

Hugo wird ein gutes Mitglied in unserer Truppe. Tino hat ihn nämlich noch nicht kaputt gemacht! Das ist ein echtes Highlight in meinen Augen. Für so ein Billigprodukt … Es ist übrigens nicht so, als hätte Tino noch nichts kaputt bekommen. Er hat doch dieses ‚geheime‘ Talent, von dem wir alle wissen. Er hat es mal wieder geschafft. Erst heute hat er es fertig gebracht 3 (!!!) Masken kaputt zu machen. An nur einem Tag! Ich frage mich wirklich, wie er das macht. Er macht ja nicht mal was damit! Er setzt sie nur auf und ab. Und dennoch … Naja. Gottseidank wissen wir bereits, wo wir Nachschub bekommen. Übrigens: Meine Masken sind aus derselben Packung. Mir ist bisher aber nur eine kaputt gegangen. Nach 4 Tagen! Das ist vertretbar, finde ich.

Nach dem Stöber-Laden waren wir noch in zwei weiteren Läden, die aber vergleichsweise langweilig und ernüchternd waren. Also wieder zurück in unsere Sonnen-Isolations-Station.

Dort macht Tino, was er meiner Meinung nach lassen sollte: Er ließt mal wieder (wie jeden Tag) die neuesten Nachrichten zur Entwicklung der Grenzsituationen in den asiatischen Ländern. Nachdem er sich mit einem Kumpel auf Bali ausgetauscht hat, ist seine Laune dann endgültig im Keller. Besagter Kumpel sagte ihm nämlich, dass dieses Jahr vermutlich noch keine Grenze weiter geöffnet würde. Damit war es dann vorbei.

Tino und ich plärren uns gegenseitig an.

Warum? Weil uns das frustriert und sonst keiner da ist, den man anschnauzen kann. Ihr kennt das vielleicht. Ich meine, was sollen wir machen? Corona anschnauzen???

Es ist echt mies, so dermaßen handlungsunfähig zu sein. Da freust du dich seit Jahren auf diese Reise. Du planst, sparst, machst und tust. Ich habe die letzten Jahre viel Zeit damit zugebracht, Tino gut zuzureden, dass das alles klappt. Und jetzt? Kommt so ein verkacktes Virus daher und straft mich Lügen. Ich bin selbst nicht sonderlich begeistert von der ganzen Scheiße, ehrlich. Aber da Tino leider nicht sonderlich gut darin ist, bleibt die Rolle des hoffnungslosen Optimisten an mir hängen. Sonst habe ich kein Problem damit, aber irgendwann ist selbst meine Kraft in dieser Hinsicht erschöpft.

Ich habe meinen Kinderwunsch nach hinten gestellt. Habe den Job in München angenommen. Rede seit 5 Jahren auf Tino ein, dass wir die Reise machen werden. Habe Tino durch meine Ausbildung hindurch Hoffnung gemacht, dass alles klappt wie gedacht. Ich habe alles getan, was nötig war. Und dann … REICHT ES NICHT?!

Aber wir sind erwachsen, nicht wahr? Wir reißen uns am Riemen. Da ist niemand, der kommen und alles gut machen wird. Da sind nur wir, die wir wie Erwachsene unsere Problemchen stemmen müssen. Denn seien wir ehrlich, genau das sind es: Problemchen. Mit einem großen -CHEN. Denn, was wir hier haben, sind wirklich Erste-Welt-Probleme Buhu, ich kann nicht reisen, wie ich will.

Wenn man sich vor Augen führt, das andere Menschen auf diesem Planeten ganz andere, existentiellere Probleme haben, verblassen die eigenen Wehwehchen ganz schnell. Und so haben auch Tino und ich uns wieder gefangen.

Wir werden nicht so schnell nach Asien kommen? Sei es drum. Kann nur gut für’s Klima sein, wenn wir uns das Fliegen klemmen, nicht wahr? Wir haben eine sehr privilegierte Situation geschaffen: Wir müssen beide vorerst nicht arbeiten, sind gesund, unabhängig und kommen aus stabilen Familien. Wir lieben unsere Liebsten und müssen in keinster Weise irgendwie um unsere Gesundheit bangen. Wir packen das schon. Wenn nicht Asien, dann was anderes. Die Welt ist groß. Es gibt viel zu sehen. Viel zu erleben. Das muss und darf man nicht von Ländergrenzen abhängig machen. Wäre ja auch irgendwie albern, oder? Das eigene Glück von einem Stempel im Reisepass abhängig zu machen … Darum ging es nie und sollte es auch in Zukunft nicht.

Jetzt sind wir erst Mal hier. Und wo wir gerade hier sind: Irgendwie hätten wir beide jetzt total Bock auf noch so eine Portion gebratener Scampi in Knoblauch! Also machen wir uns zum Abend auf den Weg zu einem Lokal, an dem ich die Tage vorher vorbeigekommen bin. Dank meines visuellen Gedächtnisses erinnere ich mich, dort Werbung für besagte Speise gesehen zu haben.

Wir müssen auch gar nicht lange suchen, da finden wir den Laden. Und Tino zeigt mir bei der Gelegenheit ein neues Getränk: Tinto de Verano. Eine bunte Mischung aus Wein, Sangria und Sprite. Und der Mist schmeckt! Verflucht gut sogar! Und da sitzen wir nun: Essen Gambas, trinken Tinto de Verano und gucken Fußball.

Ja, richtig gelesen. Wir gucken Fußball. FUßBALL! WIR!

Das haben wir zuletzt zur WM gemacht. Wir sind beide nicht so die Fußball-Gucker. Aber dieses Champions-League-Spiel vom RB Leipzig gegen Paris Saint-Germain ist irgendwie gut. Es macht Spaß. Vielleicht auch einfach nur, weil wir sowas sonst eben nicht machen. Es ist das Viertelfinale und wir sehen mit Spannung zu, wie diese deutschen Drittligisten sich gegen einen Fußball-Club von Weltformat behaupten. Wir behaupten: Die haben sich gut gemacht! Ja, okay. Der RB Leipzig ist mit einer 3:0-Schlappe rausgeflogen. Aber als Drittligist unvermittelt das Viertelfinale der Champions-League zu erreichen, ist sehr beachtlich. Dass man dann gegen einen solchen Profiverein abschmiert, nachdem man vorher andere Profis vom Platz gefegt hat, ist unserer bescheidenen Meinung nach mehr als nur verzeihlich.

Außerdem unterhalten wir uns währenddessen gut mit dem Besitzer des Ladens, der mit uns über die deutsche Sprache und deutschen Fußball quatscht.

Und auf dem Heimweg können wir nicht anders, als uns vom RB Leipzig inspiriert zu fühlen.

Es mag nie perfekt laufen. Aber das Glück lauert hinter jeder Ecke. Wichtig ist doch nur, es zu erkennen und bei seinem kleinen, blonden Schopf zu packen, wenn es sich mal zeigt! Für uns heißt das: Ja, Corona ist scheiße. Reisebeschränkungen sind doof. Quarantäne ist ätzend. Maske nervt.

Aber wir haben etwas deutlich Wertvolleres: Uns und unsere gemeinsame Zeit.